Festgefahren oder geistige Offenheit?
Festgefahren oder geistige Offenheit?
Festgefahren?
Immer wieder stellen wir in der Praxis fest, dass so viele Menschen ihre Beschwerden unbewusst gar nicht loslassen möchten. Aus verschiedenen Gründen können sie an ihren Beschwerden festhalten wollen: Weil sie davon einen Vorteil erzielen, weil sie sich daran gewöhnt haben oder auch weil man ihnen mitgeteilt hat, es wird immer so bleiben.
Viele Menschen kommen mit chronischen Leiden in die Praxis, mit Beschwerden, die sie schon seit Jahren oder Jahrzehnten schon kennen. Sie haben sich mit ihnen fast angefreundet, und da sie schon so viele Behandlungen erlebt haben, haben sie auch an neue Behandlungen keine grossen Erwartungen mehr.
Andere kommen mit eindeutigen schulmedizinischen Befunden in die Praxis, wie Diagnosen, Untersuchungsresultate, Messungen oder Bilder. Oft wurde ihnen gesagt, dass man regelmässig verfolgen müsse, wie schnell sich die Beschwerden weiterentwickeln würden. Somit sind sie von den Beschwerden und deren möglichen Verschlimmerung überzeugt.
Neue Perspektiven schaffen
Diese Patient:innen kommen alle mit der Überzeugung "auf ewig" chronische Leiden zu haben. Sie sind festgefahren in dem Gedanken, es gäbe kein Leben mehr ohne diese Beschwerden. Festgenagelt. Und das oft noch mit Beweisen.
Bevor die Behandlung beginnt, ist es aus Erfahrung unerlässlich, hier eine Tür zu öffnen, eine geistige Tür. Sonst stösst man mit der Behandlung gegen eine Wand.
Man muss hier die Patient:innen mit ihrer Überzeugung konfrontieren. "Warum sollte es immer so bleiben?", "Können Sie sich vorstellen, dass diese Beschwerden sich verringern oder verschwinden?" Es ist wichtig, neue Möglichkeiten aufzuzeigen. Der Horizont muss erweitert werden.
Manchmal muss die Frage nach dem Vorteil der Beschwerden respektvoll gestellt werden."Könnte es sein, dass diese Situation für Sie sogar gewisse Vorteile hat? Und Sie sorgen sich vielleicht, dass mit einer Genesung diese Vorteile wegfallen würden? Gibt es einen Weg, diese Vorteile auch in einem genesenen Zustand zu erhalten? Oder sind die Vorteile dann evtl. gar nicht mehr nötig?" Diese Reflexion kann etwas in den Patient:innen aufwecken und in Bewegung bringen.
Erst dann ist mit der Behandlung zu beginnen. Und die Resultate können manche Patient:innen freudig erstaunen.
Fallbeispiel 1
Ein über 80 Jahre alter Patient kommt mit Polyneuropathie in den Beinen - beginnend zweiten Grades - in die Praxis. Er teilt mit die neurologischen Untersuchungen haben klare Befunde ergeben und in seinem Alter sei es ja eigentlich häufig: Drei Familienmitglieder leiden auch darunter. Er beobachtet, ob und wie sich die Beschwerden eventuell verschlimmern. Eine Besserung ist sowieso nicht zu erhoffen.
Um eine neue Ausrichtung zu ermöglichen, haben wir erst mal neue Möglichkeiten angesprochen, die er überrascht und auch interessiert annimmt.
Als er dann offener ist für mögliche Entwicklungen, wird er mittels TuiNa-Massage und Akupunktur behandelt. Nach der Sitzung darf er wieder aufstehen und kann halb freudig, halb fassungslos feststellen, dass sich die Beschwerden deutlich reduziert haben.
Was er vor der Behandlung für unmöglich gehalten hat, ist geschehen. Dies ist möglich, weil er geistig dafür offen war.
Fallbeispiel 2
Ein Patient kommt mit Herz-, Schlaf- und Verdauungsbeschwerden in die Praxis. Nach mehreren Sitzungen berichtet er, beschwerdefrei zu sein. Kein einziges Symptom ist mehr vorhanden. Auch die weitere Diagnostik ergibt ein gutes Bild. Somit ist die Behandlung eigentlich abgeschlossen.
Der Patient erklärt aber, er wolle unbedingt weitere Sitzungen haben wegen seiner Beschwerden. Er hat sich jahrelang damit befasst und hat sich diesbezüglich auch viele Sorgen gemacht. Er kann noch nicht annehmen, dass es ihm wieder völlig gut ging. Dass er genesen ist, kann er in der Tat erst Wochen später erkennen.
Die geistige Offenheit gilt auch für uns Therapeut:innen
Als Therapeut:in ist es unsere Rolle, Entwicklungschancen zu geben. Diese sind stark von unserer eigenen Einstellung abhängig. Es ist daher unerlässlich, sich auf neue gesundheitliche Möglichkeiten einzulassen und darauf hinzusteuern.
Es liegt in unserer Verantwortung, einen Raum für Möglichkeiten und Hoffnung zu schaffen. Daher sollten wir die Patient:innen, da abholen wo sie mit ihren Beschwerden stehen, und sie mit unserem Wissen, unserer Erfahrung und ermutigenden Perspektiven auf den Weg nehmen. Wir fokussieren auf das Potenzial und die Genesungskraft unserer Patient:innen. Mit unserem Angebot bieten wir ihnen eine andere Perspektive, einen anderen Sichtpunkt und eine neue Energie, um sie auf einen neuen Weg zu führen. Dies werden die Patient:innen auch ohne Worte wahrnehmen können. Es ist unsere innere, positiv ausgerichtete Haltung, die wirkt.
Unsere Gedanken leiten unsere Energie. Unsere Energie leitet die Handlungen. Eine offene geistige Ausrichtung des/der Therapeuten/in ist für die Patient:innen ein wertvolles und grosses Geschenk.